Architekt der Neuen Ostpolitik.
Zum 100. Geburtstag von Egon Bahr (1922–2015)
Vortrag von Prof. Dr. Bernd Faulenbach
Er war so »nah dran« und hat die berühmteste Szene selbst dennoch gar nicht gesehen. Als Bundeskanzler Willy Brandt am 7. Dezember 1970 vor dem Denkmal für den Warschauer Ghetto-Aufstand von 1943 seinen berühmten »Kniefall« vollzog, war dem ihn begleitenden Staatssekretär im Bundeskanzleramt Egon Bahr durch die zahlreich anwesenden Journalisten die Sicht verstellt. Er bemerkte nur, dass es, wie er später schilderte, »auf einmal ganz still« geworden war. Ohne Bahr wäre es allerdings zu dieser bewegenden Geste vielleicht gar nicht gekommen. Schon seit den späten 1950er-Jahren war Bahr ein enger politischer Wegbegleiter Willy Brandts. Der 1922 in Thüringen geborene Bahr hatte während der NS-Diktatur aufgrund der jüdischen Herkunft seiner Mutter zahlreiche Diskriminierungen erfahren. 1945 schlug er in Berlin eine journalistische Laufbahn ein und arbeitete nicht zuletzt für den RIAS. 1956 wurde er SPD-Mitglied, 1960 übertrug ihm Willy Brandt, damals Regierender Bürgermeister von West-Berlin, die Leitung des Presse- und Informationsamtes. Seither begleitete Bahr Brandt durch die folgenden Etappen von dessen politischem Aufstieg. Auch als Brandt 1969 der erste sozialdemokratische Regierungschef der Bundesrepublik wurde, blieb Bahr als Staatssekretär in seiner Nähe. Nach Brandts Rücktritt im Mai 1974 behielt Egon Bahr wichtige Positionen in den folgenden, sozialdemokratisch geführten Regierungen. Von 1972 bis 1990 gehörte er dem Deutschen Bundestag an. Noch während und nach der Herstellung der deutschen Einheit blieb Egon Bahr ein gefragter Berater auf unterschiedlichen Politikfeldern. 2015 ist er hochbetagt verstorben.